Forschungsthemen
Forschung und Lehre im KIT-Centrum Elementarteilchen- und Astroteilchenphysik werden durch das Land Baden-Württemberg, die Helmholtz-Gemeinschaft, das BMBF, die DFG und die Europäische Union gefördert. KCETA ist in folgenden Forschungsfeldern aktiv:
Kosmische Strahlung
Das Pierre-Auger-Observatorium, 3000 Quadratkilometer groß und in der argentinischen Pampa gelegen, besteht aus mehr als 1600 autonomen Tanks: In hochreinem Wasser produzieren energetische Teilchen Lichtblitze. Zusätzlich beobachten vier Stationen mit 27 Teleskopen am Rand des Detektorfeldes Lichtspuren, die von den kosmischen Teilchenschauern in der Atmosphäre erzeugt werden. Untergrund-Myondetektoren und ein Feld von Radioantennenstationen vervollständigen das Experiment.
Mit dem KASCADE-Grande Experiment am Campus Nord des KIT wurde kosmische Strahlung niedriger Energie gemessen. Gegenwärtig werden noch die gewonnenen Daten analysiert und für den öffentlichen Gebrauch via Web-Portal KCDC vorbereitet. Weitere Aktivitäten auf diesem Forschungsgebiet betreffen die Messung von kosmischer Strahlung in der sibirischen Taiga (Tunka-Rex) sowie das weltweit verbreitete Luftschauer-Simulationsprogramm CORSIKA.
Hochenergie Neutrino-Astronomie
Das Neutrino Observatorium IceCube befindet sich am Südpol und besteht aus optischen Modulen, die über einen Kubikkilometer arktischen Eises verteilt sind. Die schwer fassbaren Neutrinos sind ausgezeichnete kosmische Boten, die möglicherweise extreme astrophysikalische Quellen anzeigen und Einblick in Prozesse geben, die an der Entstehung hochenergetischer Teilchen beteiligt sind. An der Oberfläche befindet sich der Array IceTop, der aus 162 Eis-Cherenkovtanks besteht und das Studium von kosmischen Luftschauern ermöglicht und als Veto für astrophysikalische Ereignisse dient. Unsere Gruppe am KIT arbeitet hauptsächlich an der nächsten Generation des IceCube Experiments, IceCube-Gen2.
Dunkle Materie
Die Gruppe Dunkle Materie forscht an mehreren Experimenten, um der Natur der "Dunklen Materie" auf die Spur zu kommen, einem der größten Rätsel des Universums. Da keines der uns bekannten Elementarteilchen aufgrund seiner Eigenschaften für die Dunkle Materie verantwortlich zeichnen kann, ist der Nachweis von Dunkle-Materie-Teilchen auch eng verknüpft mit Teilchenphysik jenseits des uns bekannten "Standardmodells der Teilchenphysik" (SM). Ein mögliches Modell einer solchen Erweiterung des SM ist die Super-Symmetrie, in der das leichteste supersymmetrische Teilchen ein exzellenter Kandidat für Dunkle Materie wäre, nämlich ein schwach wechselwirkendes massives Teilchen (Weakly Interacting Massive Particle, WIMP).
Theoriegruppen am KIT beschäftigen sich mit Modellen und Phänomenologie zur Dunklen Materie. Wir betreiben intensive Forschungs- und Entwicklungsarbeiten (FuE) für die momentane Suche nach Dunkler Materie wie auch für die nächste Generation von Experimenten. Die Arbeitsgruppe Dunkle Materie am IAP des KIT ist Mitglied der XENON-Kollaboration (seit 2019) und beteiligt sich am Aufbau des XENONnT Experiments. Seit 2018 arbeiten wir an der Entwicklung des Nachfolge-Experiments DARWIN mit. Von 2005 bis 2020 haben wir maßgeblich zum Aufbau, Betrieb und den Datenanalysen des EDELWEISS Experiment beigetragen.
Quantenfeldtheorie
Die fundamentalen Bausteine der Materie, die Elementarteilchen, werden durch das sogenannte Standardmodell beschrieben: Es gibt Auskunft über ihre Eigenschaften und die zwischen ihnen wirkenden Kräfte.
Die Forschungsgruppen am KIT, die in der theoretischen Teilchenphysik arbeiten, führen komplexe pertubative Berechnungen und nicht-pertubative Betrachtungen im Standardmodell durch. Außerdem beschäftigen sie sich mit Theorien, die Naturphänomene erklären können, die nicht im Standardmodell enthalten sind. Damit soll beispielsweise die Quantennatur der Theorie überprüft und fundamentale Naturkonstanten bestimmt werden.
Experimentelle Kolliderphysik
Das KIT ist an den weltweit leistungsfähigsten Teilchenbeschleunigern tätig: dem Hochluminositäts-Collider Super KEKb am KEK in Tsukuba, Japan, an dem Tevatron Collider am Fermilab (USA) und dem Large Hadron Collider (LHC) am CERN, Schweiz. Im LHC, der 2009 seinen Betrieb aufgenommen hat, werden Bedingungen für Reaktionen erzeugt, die zu Zeiten von etwa 10-12 Sekunden nach dem Urknall stattgefunden hatten. Der CMS-Detektor ist einer von vier großen Detektoren, die am LHC installiert wurden, um diese Reaktionen zu studieren.
Arbeitsgruppen des KCETA Mitgliedinstitutes ETP haben seit 1995 am Bau des Detektors und der Datenanalyse teilgenommen, die 2012 mit der Entdeckung des Higgs-Bosons einen vorläufigen Höhepunkt erzielt hatte. Das vorrangige Ziel ist es nun, die Eigenschaften des Higgs-Bosons genau zu vermessen und nach neuen Phänomenen jenseits vom Standardmodell zu suchen wie z. B. nach Teilchen Dunkler Materie, die u. U. am LHC produziert werden.
Theoretische Kolliderphysik
Informationen über die Kräfte zwischen Elementarteilchen werden durch Experimente gewonnen, bei denen Teilchen mit sehr hohen Energien gestreut werden. Die höchsten Energien und damit die kleinsten Abstände werden an den modernen Kollidern wie dem LHC in Genf erreicht. Die Arbeitsgruppen für theoretische Kolliderphysik am KIT machen Vorhersagen für diese Experimente und helfen bei der Interpretation der Daten.
Flavourphysik
Materie existiert in unterschiedlichen Flavours (“Geschmacksrichtungen”) und bietet ein reichhaltiges Spektrum von zu untersuchenden Phänomenen. Wenn dies mit höchster Präzision durchgeführt wird, kann man Hinweise auf die Physik jenseits des Bekannten und für Masseskalen jenseits jeglicher direkter Erreichbarkeit finden. Besonders das nuancierte Brechen von Symmetrien und Prozesse mit Quantenschleifen sind vielversprechend. Dies jedoch nur, wenn theoretischer Verstand und experimentelle Finesse optimal zusammenarbeiten, um die zersplitterten und verstreuten Hinweise zu einem vollständigen Mosaik des zu Grunde liegenden Bildes zusammenzufügen.
Diesen Ansatz verfolgen wir in unseren Arbeitsgruppen zur theoretischen Physik und im Belle II-Experiment, das Daten mit einer integrierten Luminosität nehmen wird, die 1000 mal höher ist als bei seinem nächster Mitbewerber LHCb.
Neutrinophysik
Neutrinos spielen eine Schlüsselrolle in unserem Verständnis des Universums zum Beispiel bei großräumigen Strukturbildungen, weil enorme Mengen an Neutrinos beim Urknall produziert wurden und auch heute noch existent sind. Ihre Untersuchung berührt und vereint fundamentale Fragen der Teilchenphysik und Kosmologie.
Um die Rolle dieser schwach wechselwirkenden Teilchen zu verstehen, muss man ihre bislang zu ungenau erfassten Massen und deren Hierarchie messen. Das Karlsruher Tritium Neutrino Experiment KATRIN wird das weltweit erste Experiment sein, das die Masse von Neutrinos mit einer ausreichenden Empfindlichkeit direkt und modellunabhängig misst, um ihre Rolle als kosmische Architekten festzulegen. Aber auch für die Teilchenphysik bieten die von KATRIN untersuchten Neutrinoeigenschaften wie beispielsweise ihre Masse einzigartige Ansatzpunkte zu (neuartigen) Erweiterungen des Standardmodells. Neben den ExperimentalphysikerInnen forschen am KIT auch theoretische TeilchenphysikerInnen auf diesem Gebiet.
Computational Physics
Research in the field of particle and astroparticle physics is not feasible without the use of high-performance computers. Optimal use of computer resources, however, requires the implementation of effective algorithms in specialized computer programs. On various levels, KIT develops software that is used to solve physical problems in particle and astroparticle physics.
High experimental precision requires quantum effects to be considered in theoretical predictions. Researchers at KIT are working on a largely automated calculation of quantum corrections based on methods of perturbation theory.
When calculating scattering cross sections in a mathematical theory describing the interaction of elementary particles, enormous amounts of data are generated which have to be processed efficiently. At KIT, a worldwide unique project is being pursued, which allows the parallel processing of large data flows with the help of a computer algebra system.
To interpret the experimental results obtained at the LHC, particle collisions are simulated and compared with the experiment. In an international collaboration, KIT researchers are developing a software package to run such simulations with high precision.
Detector Instrumentation and Data Acquisition
Cutting-edge experiments rely critically on cutting-edge detector technology and instrumentation. KIT has a very strong history in conceptual detector design, layout, construction and operation. With current accelerator facilities or observatories like the LHC at CERN, Geneva, being in operation, KCETA scientists are already working on the development of novel detectors and technologies for the next generation of experiments. We are always considering the complete signal processing chain including sensors, analog and digital electronics, online and offline data analysis and long-term data storage. Novel sensing concepts are being developed, and the shrinking of transistor sizes requires careful consideration of analog effects in custom integrated circuit design. We build on unique assembly infrastructures and testing facilities.
Emphasis is put in particular on new technologies for highly integrated, pixelated detector systems, as well as sensors for electromagnetic waves like radio antenna systems. The innovative sensors including semiconductor and other sensing media, lownoise, low-power and cryogenic detectors, ultra-fast data transfer and real-time data reconstruction techniques. Our integrated systems design includes tailored analysis and visualization of the ever-increasing data streams generated by the detector system.
Efficient algorithms are embedded in hardware and software. Frequently so-called trigger algorithms play a crucial part in distinguishing real and background events within microseconds to cope with the flood of data.
Our application fields range from astroparticle physics and high-energy physics to Dark Matter searches and novel beam monitoring devices for THz radiation with picosecond time resolution.
Technology Development
Large-scale data management systems, high-throughput computing and highperformance computers are increasingly important for particle and astroparticle physics.
Limited computing and data resources and the expected high data rates of the upcoming particle and astroparticle physics experiments, such as Belle-II, the High Luminosity LHC or the upgraded Pierre Auger Observatory, pose a major challenge.
Significant improvements of the existing data analysis algorithms and in particular also the computing models are required to cope with the huge amounts of data. At KIT, interdisciplinary teams from physics and computer science develop efficient algorithms, scalable methods and powerful tools for the evolving federated computing and data infrastructures that are indispensable to solve the grand challenges in science, such as the European Open Science Cloud (EOSC).
GridKa, the German Tier-1 centre of the Worldwide LHC Computing Grid (WLCG) is further developed and enhanced to play its role as a data and analysis hub for high energy and astroparticle physics in these federated infrastructures, in particular the Helmholtz Data Federation (HDF), a federated research data infrastructure for Germany and national building block for the EOSC.
Beschleunigerphysik
Am Institut für Beschleunigerphysik und Technologie (IBPT) entwickeln Teams von Expertinnen und Experten aus verschiedenen Disziplinen gemeinsam innovative Technologien für die Teilchenbeschleuniger von morgen, von Strahlendiagnosesystemen für höchste Datenraten bis hin zu speziellen Magneten aus Hochtemperatursupraleitern.
Das IBPT betreibt mehrere Teilchenbeschleuniger zur Erzeugung und Diagnose ultrakurzer Elektronenpakete bis in den Femtosekunden-Bereich. Im 110m langen Karlsruhe Research Accelerator (KARA), einem Ringbeschleuniger, werden Elektronen mit nahezu Lichtgeschwindigkeit gespeichert. Das Ferninfrarot Linac- und Test-Experiment (FLUTE) basiert auf einem Linearbeschleuniger und dient systematischen Studien an vorderster Front moderner Kurzpuls-Beschleuniger. Im Projekt ATHENA wird ein Laserplasmabeschleuniger entwickelt, wobei ein Terawatt-Femtosekunden-Lasersystem am IBPT eingesetzt wird.
Mit Datenraten im Bereich von Gigabytes pro Sekunde entstehen große Datenmengen, bei deren Analyse unter anderem auch Machine Learning-Methoden eingesetzt werden. Zur Berechnung der nicht-linearen Elektronen-Dynamik, beschrieben durch die Vlasov-Fokker-Planck Gleichung, entwickeln wir eigene effiziente Simulationsprogramme, die state-of-the-art Simulationen sogar auf Laptops ermöglichen.
Das IBPT arbeitet mit Partnern am KIT, nationalen und internationen Kollaborationspartnern, wie z.B. CERN, disziplinübergreifend zusammen. Dies umfasst Studien zum 100 km langen Future Circular Collider genauso wie neuartige ultra-kompakte Teilchenbeschleuniger. Ein breites Spektrum an Technologien und tiefe Einblicke in beschleunigerphysikalische Prozesse in Zusammenhang mit vielen Spezialisierungsmöglichkeiten geben Absolventinnen und Absolventen eine exzellente Ausgangsbasis für eine Karriere in Forschungseinrichtungen oder in der Industrie.
Projekte in der Vorbereitung
Die wissenschaftlichen Themen werden ständig weiter entwickelt. Taktgeber in diesem dynamischen Prozess sind die wissenschaftliche Neugier, sowie die Programmzyklen der in KCETA angesiedelten Förderprogramme. Derzeit werden die Multi-Messenger-Astroteilchenphysik mit kosmischer Strahlung, die intensivierte und erweiterte Suche nach Dunkler Materie in direkten Stoßexperimenten und an Beschleunigern, der Aufbau der Astroteilchentheorie, die enge Verknüpfung theoretischer und experimenteller Studien bei der Auswertung der LHC-Daten und der Einsatz des Grid Computing als mögliche neue Aktivitäten diskutiert.